Wenn Schuhputzkästen Lebensgeschichten erzählen

Wenn Schuhputzkästen Lebensgeschichten erzählen

Nach einem mittelalterlichen Brauch wird in der katholischen Kirche während der Fastenzeit der Altar verhüllt. Traditionell geschieht das mit einem Hungertuch, doch in der St. Matthäus Kirche wurden dafür in diesem Jahr 3500 Schuhputzkästen aus Äthiopien verwendet.

Vom 13. bis 18. April laden die Galerie Listros und die Kulturstiftung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz zu den zweiten „Berliner Glanzwerken“ in die St. Matthäuskirche ein. Im Zentrum der Veranstaltung steht eine Installation aus 3500 Schuhputzkästen, die den Altar der Kirche verhüllen. afrikAkzent sprach mit dem äthiopischen Galeristen Dawit Shanko über diese Kunstaktion.

afrikAkzent: Was kann man sich unter dem Titel „Berliner Glanzwerke“ vorstellen?

Dawit Shanko: „Glanzwerke“ kommt von dem Versuch das Wort Listros zu übersetzen. Es kommt aus dem Lateinischen und bedeutet glänzend machen. Die Menschen die etwas glänzend machen, also die Schuhputzer, sind so zu sagen „Glanzwerker“. Für diese Menschen wollen wir mit unserer Installation ein Zeichen setzen. Wir wollen von Berlin aus einen Perspektivwechsel anregen.

afrikAkzent: Was für Menschen sind denn die äthiopischen Schuhputzer?

D.S.: Die äthiopischen Schuhputzer werden in der Regel als sehr arm angesehen, sie werden regelrecht arm gemacht. Aber eigentlich sind sie es nicht. Arm an Geld vielleicht, aber sie sind reich an etwas anderem. Wir wollen, dass die Menschen differenzieren. Meist wird nur ein Mangel wahrgenommen, aber nie der Reichtum und das Potenzial der Menschen. Die Listros, also die Schuhputzer, sind junge Menschen, die sehr früh Verantwortung für sich übernehmen und ihr Leben meistern. Oft werden sie nur auf ihr Äußeres reduziert. Man sieht die abgetragenen Schuhe und die schmutzige Hose. Dabei sind sie so viel mehr als das. Sie sind Visionäre, sie sagen „Ja“ zum Leben und sie haben Hoffnung. Sie setzen auf sich selbst und glauben daran, in der Gesellschaft voran zu kommen. Dieser Glaube an sich selbst gibt ihnen Halt im Leben. Religion ist im Grunde das gleiche – die Menschen glauben und finden Halt. Sie finden einen Weg, um gut durchs Leben zu kommen.

afrikAkzent: Im christlichen Glauben spielt Ostern eine sehr große Rolle, welche Rolle spielt das Fest in Äthiopien?

D.S.: Ostern ist in Äthiopien ein sehr großes Fest, sogar noch größer als das Neujahrsfest. Dennoch stoßen wir mit der Altarverhüllung bei der äthiopischen Community auf Ablehnung. Denn in der orthodoxen Kirche ist der Altar ein besonders heiliger Ort. Man darf den Altar nur barfuss, gefastet und gereinigt betreten. Man nähert sich demütig. Für die äthiopische Community tragen wir mit unserer Installation Dreck vor den Altar. Diesen heiligen Ort zu beschmutzen, ist für den Gläubigen ein sehr empfindlicher Akt. Aber das ist nicht unser Ziel. Ich hatte gehofft, zusammen mit der äthiopischen Community die zweiten „Berliner Glanzwerke“ zu feiern. Das hat leider nicht geklappt, aber davon lassen wir uns nicht entmutigen.

Die zweiten „Berliner Glanzwerke“ finden noch bis zum 18. April in der St. Matthäus Kirche statt. Mehr Informationen zur Veranstaltung und zu den äthiopischen Schuhputzern findet ihr unter: http://www.listros.de/glanzwerke/2-berliner-glanzwerke/

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