Sehen wir illegal aus?

Diese Frage stellen sich Schwarze Menschen in Deutschland womöglich öfter, denn sie geraten offenbar viel häufiger in polizeiliche Kontrollen als ihre Weißen Mitbürger. Dieser Missstand wird nicht nur von zahlreichen Organisationen angeprangert, er war auch Inspiration für den Dokumentarfilm „ID WITHOUTCOLORS“.

Am Freitag, 25.4.2014 feierten Mitglieder des Migrationsrates Berlin – Brandenburg, der Kampagne für Opfer Rassistischer Polizeigewalt (KOP)und der Opferberatunsstelle ReachOut Berlin die Erscheinung des Dokumentarfilms “ID WITHOUTCOLORS” auf DVD. Zahlreiche Interessierten erschienen zu diesem Event in Jockels Biergarten in Kreuzberg. Dort hatten sie erstmals Gelegenheit, das vom JugendtheaterBüro Berlin erarbeitete Zusatzmaterial „Was tun bei rassistischer Polizeigewalt?“ zu begutachten. Verschiedene Situationen mit Konfliktpotential zwischen PolizistInnen und Menschen mit Migrationshintergrund wurden in zwei Varianten nachgestellt, um aufzuzeigen welche Rechte die Kontrollierten haben und wie das Wissen um diese Rechte Situationen verändern kann. Die Aktualität dieser Thematik wird unter anderem in der von KOP geführten Dokumentation von über 150 Fällen rassistischer Polizeigewalt seit 2002 deutlich.

Der Film von Regisseur Riccardo Valsecchi, der 2013 in der Werkstatt der Kulturen Premiere feierte, war, nach anfänglichen Startschwierigkeiten ein Erfolg. Er wurde deutschlandweit vielfach ausgestrahlt und gewann mehrere Auszeichnungen, unter anderem den ersten Preis des Berliner Ratschlags für Demokratie.

Durch Gespräche mit WissenschaftlerInnen, PolizistInnen, PassantInnen, AkteurInnen und von ‚Racial Profiling‘ betroffenen Menschen, also Personen, die primär aufgrund von ethnischen Merkmalen polizeilich kontrolliert wurden, sowie durch das ausdrucksstarke Bildmaterial erschließt Valsecchi verschiedene Aspekte der Praxis des ‚Racial Profiling‘. Dieser Dokumentarfilm war der erste, der sich mit dieser Thematik in Deutschland befasste. Die Widersprüchlichkeit, die sich aus den unterschiedlichen Erfahrungsberichten der Opfer und den multi-kulturell und tolerant erscheinenden Eindrücken befragter Berlin-TouristInnen ergibt, ist beklemmend.

Dabei beschränkt sich Valsecchi nicht ausschließlich auf ‚Racial Profiling‘, sondern erweitert den Fokus auf verschiedene Aspekte von Rassismus. Die Hauptbotschaft von „ID WITHOUTCOLORS“ ist, dass es sich bei Fällen von ‚Racial Profiling‘ nicht um bedauerliche Einzelvorkommnisse handelt, die ohne gesellschaftliche Konsequenz bleiben. Im Gegenteil, es wird im Film sehr deutlich, dass ‚Racial Profiling‘ erschreckende Auswirkungen auf die Wahrnehmung hat, die Weiße von Schwarzen haben, und rassistische Ideen sich dadurch manifestieren und entwickeln können.

Wenn die Polizei, als eines der sichtbarsten Organe des Staates, Schwarze Menschen zum Beispiel in Zügen gezielt kontrolliert, während die Weißen Mitfahrenden keine Papiere vorzeigen müssen, wird nicht nur den Schwarzen Kontrollierten signalisiert, sie wären anders und gehörten nicht dazu, sondern auch den Weißen Mitreisenden. Dies ist umso problematischer in Anbetracht der Tatsache, dass Rassismus in Deutschland als Randproblem betrachtet wird. Es scheint ein Phänomen von extremistischem Gedankengut zu sein, von dem sich Menschen in der Mitte der Gesellschaft weit entfernt fühlen und leicht distanzieren können.

Doch auch dort ist Rassismus allgegenwärtig. Ein Beispiel: Wenn Schwarze Menschen ständig gefragt werden, woher sie denn tatsächlich kämen, obwohl sie in Deutschland geboren wurden und einen deutschen Pass besitzen, ist das eine Art der rassistischen Diskriminierung. Ständig wird ihnen signalisiert, sie seien Fremde. Doch diese Tatsache wird von der weißen Mehrheitsgesellschaft nur selten wahrgenommen, geschweige denn öffentlich thematisiert.

„ID WITHOUT COLORS“ geht auch darauf ein, dass ‚Racial Profiling‘ keineswegs nur ein deutsches Phänomen ist. In verschiedenen Ländern werden Formen von ‚Racial Profiling‘ durchgeführt. In der EU allerdings haben Deutschland und Frankreich eine Sonderstellung, da in beiden Ländern die Existenz der Praxis nicht anerkannt wird und es dementsprechend weder offizielle Dokumentationen noch Statistiken zum Thema gibt. Im Film plädiert ein/e VertreterIn der KOP dafür, Kriterien für die Auswahl kontrollierter Personen zu dokumentieren. Damit könne transparenter gemacht werden, wie die Auswahl einer Person zur Kontrolle zustande kommt.

Am Ende des Films wird der, zugegebenermaßen satirische, Vorschlag unterbreitet, man könne die Arbeit der Polizei dadurch erleichtern, indem die Bahn Waggons einrichtet, in denen Menschen je nach Hautfarbe getrennt fahren würden. Dann müsse die Polizei nur noch einen Waggon kontrollieren. Eine erschreckende Vorstellung, die verdeutlicht, welche gefährlichen Abgründe sich mit der Praxis des ‚Racial Profiling‘ auftun.

„ID WITHOUT COLORS„ ist ein aufrüttelnder Film über ein selten behandeltes doch gesellschaftlich wichtiges Thema. Nicht zuletzt für Menschen, die selbst keine Erfahrungen mit Diskriminierung oder Rassismus haben, ist er ausgesprochen empfehlenswert.

Ein Text von Judith Schall

Weitere Informationen zum Film, den beteiligten Organisationen und Initiativen gibt es unter:

http://idwithoutcolors.com/

http://mrbb.de/

http://www.grenzen-los.eu/jugendtheaterbuero/

Was bedeutet ‚Racial Profiling‘?

Unter ‚Racial Profiling‘ versteht man die Praxis, Identitätsprüfungen aufgrund äußerlicher Merkmale, ohne konkrete Verdachtsmomente gegen die kontrollierte Person, durchzuführen. Offiziell gibt es diese Praxis in Deutschland laut der Bundesregierung nicht, da sie gegen das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot verstößt. Wie im Film gezeigt, scheint dies jedoch Wunschdenken zu sein. Besonders in Zügen und an Flughäfen werden dunkelhäutige Menschen kontrolliert, was auf den problematischen Artikel 22 des Bundespolizeigesetzes zurückzuführen ist. Laut diesem darf die Polizei an den genannten Orten „zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise“ kontrollieren. Das Deutsche Institut für Menschenrechte veröffentlichte Mitte des Jahres 2013 einen Bericht zum Thema ‚Racial Profiling‘, in dem es die Abschaffung dieses Artikels fordert. Dieser würde die Polizei dazu anhalten, rassistisch motivierte Personenkontrollen durchzuführen. Der gleichen Meinung ist auch die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI), die in ihrem im Februar erschienenen Prüfbericht zu dem Schluss kommt, das durch den Artikel geschützte Recht der Polizei, Personenkontrollen ohne konkrete Verdachtsmomente durchzuführen, fördere diskriminierende Praktiken. Der Bericht fordert ‚Racial Profiling‘ explizit zu verbieten.

Laut einer Stellungname der Polizei sind die Personenkontrollen keineswegs rassistisch motiviert oder diskriminierend, da jede Person kontrolliert werden könne und die Auswahl der Beamten auf Erfahrungswerten basiere. Auch seien ethnische Erscheinungsmerkmale nicht ausschlaggebend, da mehrere Faktoren, unter anderem ebenfalls “ (…) Informationen zu Verkehrswegen, möglichen Örtlichkeiten, Zeiträumen, Altersstrukturen, Geschlecht und entsprechenden Verhaltensweisen“ bei der Auswahl der zu kontrollierenden Personen miteinbezogen würden.

Anfang Mai wurde der im Film gemachte Vorschlag einer Protokollierung von Personenkontrollen nun verwirklicht und ein von der ReachOut Initiative und dem Migrationsrat Berlin – Brandenburg als Angebot an die Polizei entwickeltes Formular vorgestellt. Dies dokumentiert sowohl Ort, Uhrzeit und den genauen Anlass der Kontrolle sowie die Merkmale der kontrollierten Person, als auch ob die Person der Kontrolle zustimmte. Die Verwendung dieser, oder einer ähnlichen, Protokollierung würde es massiv erleichtern, die Hintergründe von Personenkontrollen zu beleuchten und wäre ein erster, wichtiger Schritt zur Erfassung und Bewertung von durchgeführten Personenkontrollen.

Die Kampagne für Opfer rassistisch motivierter Polizeigewalt (KOP)

Die Kampagne wurde 2002 von ReachOut, dem Antidiskriminierungsbüro, dem Ermittlungsausschuss und dem Verein Selbsthilfe e.V. gegründet. Sie bietet Beratung und Begleitung Betroffener an, engagiert sich im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit, um ein Bewusstsein für die Existenz rassistisch motivierter Polizeigewalt zu schaffen, und hat einen Rechtshilfefonds eingereichtet, aus dem juristische Kosten Betroffener mitfinanziert werden können.

Auch gibt es auf der Website detaillierte Informationen über die polizeilichen Befugnisse und nützlicher Verhaltenstipps sowie Rechtswissen im Falle einer Kontrolle. Nicht zuletzt werden bei KOP Fälle rassistisch motivierter Polizeigewalt seit 2002 dokumentiert und können eingesehen werden.

Mehr Informationen: http://reachoutberlin.de/

www.kop-berlin.de

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